Peter Handke und Griffen

Wunder-Keusche - © Kulturinitiative Stift GriffenPeter Handkes Geburtsort ist das kleine Dorf Altenmarkt (slowenisch Stara vas) im Gemeindegebiet von Griffen am Südwesthang des Schlossbergs. Dort stehen oder standen die Häuser seiner Familie – des Großvaters Gregor Siutz, der Eltern Maria und Bruno Handke sowie das seines Onkels Georg Siutz und seiner Frau Ursula. Geboren wird Handke im Haus seines Großvaters, Altenmarkt 25, einer kleinen Keusche mit Vulgo-Namen ›Wunder‹, zu der etwas Ackerland und ein Obstgarten gehörte.

Kindheit in Griffen

In Griffen verbringt Peter Handke den Großteil seiner Kindheit. Nach der Rückkehr der Familie aus Berlin im Sommer 1948 besucht er die Volkschule und zwei Jahre lang die Hauptschule von Griffen. Es folgen bis 1959 fünf Jahre im Internat des Gymnasium Tanzenberg, wo er nur an kirchlichen Feiertagen und in den Sommerferien nach Hause darf. 1957/58 bauen Handkes Eltern gleich neben der Wunder-Keusche ein eigenes Haus. 1959/60 wechselt Handke die Schule. Er bezieht in der Mansarde des Elternhauses ein eigenes Zimmer und pendelt täglich mit dem Bus ins Gymnasium nach Klagenfurt. Die Wunder-Keusche wird 1960 verkauft und durch einen Neubau ersetzt.

Erzählerische Heimkehr

Espresso - © Marktgemeinde GriffenMit dem Umzug nach Graz, wo Peter Handke ab 1961 Rechtswissenschaften studiert, verlässt er seinen Kindheitsort. Ab diesem Zeitpunkt beginnt eine bis heute andauernde erzählerische "Heimkehr". Schon sein erster Roman "Die Hornissen" (1966) spielt in Altenmarkt, Griffen und Stift Griffen, ohne dass diese Orte genannt werden. Nur an einer Stelle wird das Gebiet in einer litaneiartigen Aufzählung von Dorf- und Weilernamen (einige sind erfunden) großräumig abgesteckt. Auch in der frühen Kurzprosa findet man viele Spuren des Herkunftsorts.

Vielleicht hat das Erzählen vom Tod der Mutter in "Wunschloses Unglück" (1972) dazu beigetragen, dass Handke ab den frühen 1970er Jahren ein großes Romanprojekt mit dem Arbeitstitel "Ins tiefe Österreich" vorbereitet, das die Heimkehr des Helden von Amerika zu seinem Geburtsort in Österreich beschreiben will. Es handelt sich genau genommen um eine Forschungsreise mit dem Ziel, die "Feldformen der Kindheit" zu beschreiben – Orte, Personen und Eindrücke durch Erzählen (Wiederholen) vor dem Vergessen zu retten und eine Poetik zu finden, die das ermöglicht. Es geht nicht um die Rekonstruktion der historischen Realität, sondern darum bezeichnende Eindrücke – Bilder, Gerüche, einen Geschmack – mithilfe der Erinnerungsarbeit und Phantasie zu bergen. Ab 1976 reist Handke regelmäßig in seine Herkunftsgegend und beginnt für sein Romanprojekt zu notieren.

In "Die Lehre der Sainte-Victoire" (1980) streift er erzählerisch seinen Kärntner Geburtsort und die slowenische Herkunft seiner Familie. Im Theaterstück "Über die Dörfer" (1981) und in der Erzählung "Die Wiederholung" (1986) kommt er dort tatsächlich an. Spätere Werke wie "Versuch über die Müdigkeit" (1989) und "Versuch über die Jukebox" (1990), die Filmskizze "Die Abwesenheit" (1996), die Erzählungen "Mein Jahr in der Niemandsbucht" (1994) und "Die morawische Nacht" (2008), das Theaterstück "Immer noch Sturm" (2010) oder der "Versuch über den Pilznarren" (2013) nehmen diese "Heimat"-Erzählung immer wieder auf. Kleinere Kindheitssplitter sind über das gesamte Werk verstreut.

Orte im Werk Handkes

Die erzählte Kindheitslandschaft setzt sich aus verschiedenen kleinen Ortsteilen zusammen: dem Großeltern- und Elternhaus; dem Obstgarten des Onkels; dem Schilfsee; der alten Landstraße mit der Bushaltestelle; einem Milchstand; der tiefen Sand- oder Schottergrube zwischen Landstraße und See und der Grafenbachschlucht. Erwähnung finden das Kino von Griffen, die Wagenschmiede, die Gemischtwarenhandlung von Verwandten und verschiedene Gasthäuser im Ort, vor allem eines in Altenmarkt, das auch eine Lehmkegelbahn hatte, oder das Griffener Espresso mit Jukebox. Berichtet wird von der Volksschule, wo 1920 die Volksabstimmung stattfand, der Tropfsteinhöhle im Schlossberg, den hölzernen Feldhütten und immer wieder von einem Wiesenstück in der Form eines Dreiecks in der Dorfmitte von Altenmarkt: hier standen Handkes Erzählungen zu Folge ein Kirschbaum, auf dem die Kinoprogramme befestigt wurden, und ein Quellenhäuschen. Ein wesentlicher Ort der erzählerischen Heimkehr Handkes ist natürlich das Stift Griffen.

Griffen - © Katharina PektorOrte und Personen werden jedes Mal etwas anders erzählt. Das Großelternhaus wird zum Elternhaus, beide Häuser verschmelzen zu einem einzigen oder werden in eine andere Gegend versetzt – so wie Handke auch seine "Vorfahren" immer wieder neu arrangiert. Seine Erzählungen beschränken sich nicht nur auf den Kindheitsort, sondern umfassen die gesamte Gegend – das von der Drau durchzogene Jauntal oder, wie es Handke nennt, "Jaunfeld" mit der Dobrowa, die Saualpe, die Petzen und die Karawanken-Kette mit dem "spitzen Hochobir" und der "breiten Koschuta", die man von überall sehen kann.

Karte von Griffen mit eingezeichneten Orten

Griffen - © Katharina PektorDer Ort hat sich seit den 1940er Jahren natürlich stark verändert – das Altenmarkt oder Griffen aus Handkes Kindheit und Jugend gibt es nicht mehr. Die Häuser waren früher kleine Keuschen; die Wiesen waren unbebaut, die Straßen zum Teil bis Ende der 1990er Jahr nur geschottert; selbst der Marktplatz in Griffen wurde erst 1965 (da war Handke schon lange in Graz) asphaltiert. Der Schilfsee wurde durch eine Autobahn zerschnitten, die Schottergrube zugeschüttet, der Obstgarten des Onkels wurde verkauft, heute stehen dort nur mehr ein paar wenige Bäume. Im Kino wurde Ende der 1970er der letzte Film gezeigt; das Gasthaus in Altenmarkt wurde in ein Wohnhaus verwandelt; im Gebäude der ehemaligen Volksschule befindet sich jetzt eine Bar. Die Peter Handke Ausstellung zeigt eine Landkarte von Griffen, in der diese Orte eingetragen sind. Die Karte ist auch im Katalog abgedruckt und durch erklärende Aufsätze zu den Orten und zahlreiche Fotos ergänzt.

 

Literatur

Katharina Pektor (Hg): Peter Handke – Dauerausstellung Stift Griffen. Salzburg/Wien: Jung und Jung, 2018, S. 14-47.